Spricht Jesaja 7 von der Jungfrauengeburt?

Jesaja 7,14 – ein Vers, der jedes Jahr zur Weihnachtszeit zitiert wird. Aber sagt er wirklich das, was wir denken? Oder lesen wir mehr hinein, als Jesaja eigentlich sagen wollte?

Jesaja 7,14 – ein Vers, der jedes Jahr zur Weihnachtszeit zitiert wird. Aber sagt er wirklich das, was wir denken? Oder lesen wir mehr hinein, als Jesaja eigentlich sagen wollte? Der Vers wird häufig als Hinweis auf die Jungfrauengeburt im Alten Testament verstanden. Der Evangelist Matthäus scheint das zu bestätigen. Schließlich zitiert er den Vers als Beweis für die Jungfrauengeburt (Mt 1,22f). Aber sagt Jesaja 7,14 tatsächlich das, was wir oft darin lesen?

Darum wird der Herr selbst euch ein Zeichen geben: Siehe, die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären und wird seinen Namen Immanuel nennen. (Jes 7,14)

Das Zeichen in Jesaja 7: Historische Perspektive

In Jes 7 wird erklärt, dass die Könige von Aram (Syrien) und Israel (Nordreich) gegen Juda in den Kampf ziehen (V.1). Israel und sein König Ahas verzweifelt daraufhin (V.2). Im Auftrag Gottes macht Jesaja Ahas Mut (V.3-9): „Es wird nicht zustande kommen und nicht geschehen.“ (V.7). Ahas soll ein Zeichen als Bestätigung fordern (V.10f). Der lehnt ab (V.12). Gott verheißt ihm dennoch ein Zeichen: die Geburt eines Kindes (V.14-16). Direkt im nächsten Kapitel (8,1-4) wird dann davon gesprochen, dass eine Prophetin schwanger wird und einen Sohn gebiert. Genau von diesem Sohn wird gesagt, dass Damaskus (Syrien) und Samaria (Nordreich) besiegt werden, noch bevor er sprechen lernt. Naheliegend, dass das die direkte Erfüllung des Zeichens ist, oder?

Was gegen die Erfüllung in Jes 8,1-4 herangeführt wird

Im Wesentlichen werden zwei Argumente herangeführt, die gegen die direkte Erfüllung sprechen sollen.

Erstens: Fast alle deutschen Übersetzungen sprechen in Jes 7,14 von einer Jungfrau. Bekanntermaßen bezeichnet der hebräische Begriff im Grundtext allerdings vielmehr eine „junge Frau“ (hebr. alma). Erst die griechische Übersetzung des Alten Testaments (LXX) übersetzte eindeutig mit parthenos (Jungfrau). Eine jüdische junge Frau war zwar (soweit sie unverheiratet war) in der Regel auch eine Jungfrau. Das wird vom hebräischen Wort allerdings nicht vorausgesetzt. Eine Identifizierung der Prophetin (Jes 8,3) mit der „jungen Frau“ (7,14) verursacht keinerlei Schwierigkeiten.

Zweitens: Jesaja spricht von einem Zeichen. Wie kann die natürliche Geburt eines Kindes von einer Frau als Zeichen betrachtet werden? Sie ist doch etwas Alltägliches. Hier ist zu beachten, dass ein Zeichen (hebr. ot) für Jesaja nicht zwangsläufig etwas Außergewöhnliches ist. In Jes 8,18 bezeichnet Jesaja sich und seine Kinder beispielsweise als „Zeichen und Wunder“ für Israel – als Zeugen Gottes. In 20,3 spricht Gott davon, dass Jesaja drei Jahre lang nackt und barfuß durch Israel gelaufen ist, was ein Zeichen für das kommende Gericht Gottes über Ägypten sein soll. Vom Wortgebrauch Jesajas her gesehen spricht gar nichts dagegen, die Geburt des Kindes in Jes 8 ein Zeichen zu nennen. Im Gegensatz dazu wäre es äußerst merkwürdig, die Geburt eines Kindes (Jesus) mehrere Jahrhunderte nach den beschriebenen Ereignissen als Zeichen für Ahas anzusehen.

Erfüllung bei Matthäus: Die Bedeutung von Typologie

Warum weist Matthäus auf die Erfüllung der Prophetie hin, wenn Jesaja 7,14 gar nicht von einer Jungfrauengeburt spricht? Hat er den Vers missbräuchlich verwendet, um seine Darstellung der Dinge zu stützen?

Wie versteht Matthäus den Begriff Erfüllung? Das ist entscheidend. Auch bei Matthäus gibt es direkte Erfüllungen von Vorhersagen. So erfüllt die Geburt Jesus’ in Bethlehem (Mt 2,5f) die Prophetie aus Mi 5,2. Das ist aber nicht die einzige Art, in der Matthäus von Erfüllung spricht.

In Mt 2,15 spricht Matthäus davon, dass sich durch die Rückkehr von Jesus aus Ägypten Hos 11,1 erfüllt: Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen. In Hos 11,1-4 wird jedoch beschrieben, wie Gott Israel (Gottes Sohn, vgl. 2Mo 4,22) aus Ägypten gerettet hat. Matthäus sieht eine typologische Erfüllung, ein Muster, das sich wiederholt und intensiviert. Und die ist nicht an den Haaren herbeigezogen. Bereits in V.8-11 wird die Befreiung Israels aus Ägypten als Muster angesehen. So wie Gott Israel aus Ägypten gerettet hat, so wird es Israel auch aus Assur befreien. Und so wie Gott an seinem Sohn Israel gehandelt hat, so handelt er auch an seinem Sohn Jesus (vgl. Mt 3,17; 4,1-11).

In Mt 2,17f beschreibt Matthäus, dass der Baby-Mord von Herodes eine Erfüllung von Jer 31,15 ist. In Jer 31,15 wird allerdings die Trauer über das Leid der bevorstehenden Wegführung von Gottes Volk durch einen heidnischen Herrscher vorausgesagt. Die Parallele: auch in Mt 2,17f leidet Gottes Volk unter einem heidnischen Herrscher. So wie es bei Jeremia Hoffnung für Gottes Volk gibt (31,16f), so gibt es auch Hoffnung bei Matthäus. Der Verweis auf Rahel enthält bereits eine typologische Bedeutung, denn sie wünscht sich unbedingt Kinder (1Mo 30,1), wehklagt aber bei der Geburt ihres Sohnes Benjamin (1Mo 35,18). Nun steht sie als Repräsentantin für das Volk Israel.

Warum die Jungfrauengeburt dennoch unverzichtbar ist

Die Jungfrauengeburt wird von den Evangelisten klar beschrieben und sollte deswegen selbstverständlich als tatsächlich geschehenes historisches Ereignis angesehen werden. Auch theologisch kann man begründen, dass sie notwendig war. Aber ich kann sie eben nicht in Jes 7,14 finden.

Zeigt Jesaja gar keine Zukunftsperspektive?

Doch, natürlich. Bereits in 9,5f wird ein Kind angekündigt, das sich nicht auf einen menschlichen Retter beziehen kann.

Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und man nennt seinen Namen: Wunderbarer Ratgeber, starker Gott, Vater der Ewigkeit, Fürst des Friedens. Groß ist die Herrschaft, und der Friede wird kein Ende haben auf dem Thron Davids und über seinem Königreich, es zu festigen und zu stützen durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. (Jes 9,5f)

Auch wegen dieses Verses ist es ganz naheliegend, dass Matthäus eine Parallele zwischen der Geburt des Kindes in Jes 7–8 und der Geburt Jesus’ zieht. Die Geburt des Kindes damals war das Zeichen für die zeitliche Rettung Judas. Die Geburt des Kindes Jesus war das Zeichen für die ewige Rettung aller, die ihm vertrauen. Jesus ist der wahre Immanuel (7,14), der Rettung bringt. Eine echte Weihnachtsbotschaft!

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