Es ist tatsächlich über ein Jahr her, dass ich hier den letzten Beitrag geschrieben habe. Von November 2022 bis Juli 2023 habe ich dann einigermaßen regelmäßig Newsletter mit Lesehinweisen verschickt. Da wir im Februar letzten Jahres aber noch einmal Nachwuchs bekommen haben, habe ich mir dann ein gutes halbes Jahr Elternzeit gegönnt. Ganz aus dem Sinn war mein Blog aber nie. Da ich bis 2021 immer viel über Bücher geschrieben habe, nutze ich diese Gelegenheit, über meine Favoriten aus den letzten zwei Jahren zu schreiben. Jeweils ein Buch in acht Kategorien, auch wenn mir die Auswahl teilweise schwergefallen ist. Einige der Bücher habe ich in meinem Newsletter bereits vorgestellt und greife sie hier noch einmal auf.
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Theologie
Mein Favorit in dieser Kategorie ist Discontinuity to Continuity von Benjamin Merkle. Die Endzeit ist doch ein Thema, was viele Christen aktuell bewegt. In diesem Buch werden nicht bloß Systeme vorgestellt. Der Autor geht insbesondere auf die hermeneutischen Grundlagen der unterschiedlichen Systeme ein: (1) Classical Dispensationalism, (2) Revised Dispensationalism, (3) Progressive Dispensationalism, (4) Progressive Covenantalism, (5) Covenant Theology, (6) Christian Reconstructionism. Es geht nicht darum, wer richtig und wer falsch liegt, sondern die Stärken und Schwächen aufzuzeigen. Sein Ansatz gefällt mir ausgesprochen gut. Drei kurze Zitate aus dem Vorwort:
- „Letztendlich wollen wir wissen, was wir glauben – nicht nur, um das Wort Gottes besser zu kennen, sondern auch, um den Gott des Wortes besser kennenzulernen.“
- „Es ist viel zu einfach, denjenigen, die nicht mit uns übereinstimmen, unreine Motive zu unterstellen und ihre geistliche Haltung infrage zu stellen.“
- „Manchmal sage ich meinen Studenten, dass sie nicht mit allen meinen Lehrmeinungen übereinstimmen sollten, da ich sicher bin, dass ich in einigen Bereichen falsch liege. Das Problem ist nur, dass ich nicht weiß, wo ich falsch liege.“
Exegese
Meine Auswahl hier: Exegetical Gems from the Greek New Testament, ebenfalls von Benjamin Merkle. Es ist eine Grammatik der etwas anderen Art. Alle wesentlichen Themen der griechischen Grammatik werden hier anhand von exegetischen Beispielen aufgegriffen. In insgesamt 35 Kapiteln geht es um die unterschiedlichen Zeitformen, die Fälle, Partizipien, Infinitive und vieles mehr – bis hin zur Diskursanalyse und dem Erstellen von Satzdiagrammen. Die Grundlagen des Themas werden jeweils kurz vorgestellt, dann konzentriert sich Merkle auf die Anwendung des Themas auf eine exegetische Fragestellung. Super praktisch gemacht. Für alle, die ihre Griechisch-Kenntnisse auffrischen wollen, und auf dem Weg auch ein paar spannenden exegetischen Fragestellungen auf den Grund zu gehen. Die Kapitel sind sehr übersichtlich gestaltet und jeweils ca. 5 Seiten lang.
Homiletik
Es gibt etliche Bücher zur Bibelauslegung und zur Predigtvorbereitung. Und sicher ist allen klar, dass eine Botschaft nicht nur verstanden, sondern auch angewandt werden soll. Aber wenn es um die Anwendung geht, fassen sich die Autoren häufig recht kurz. Putting the Truth to Work von Daniel Doriani ist ein Buch, das explizit die Anwendung im Blick hat. Neben ein paar einleitenden sehr wichtigen theoretischen Kapiteln liegt sein Schwerpunkt darauf, Anwendungen für Texte aus unterschiedlichen Textgattungen zu formulieren und auf vier Aspekten der Anwendung (Pflicht, Charakter, Ziele und Unterscheidungsvermögen) einzugehen. Zum Schluss geht es um christuszentrierte Anwendung. Sehr bereichernd.
Lehre
In Teaching Across cultures schreibt James Plueddemann über interkulturelles Lehren. Effektive interkulturelle Lehrer haben für ihn drei Kompetenzen: (1) Sie beherrschen den Inhalt, den sie lehren, (2) sie schätzen die kulturellen Werte, Bedürfnisse und Kontexte der Lernenden und (3) sie stellen Beziehungen zwischen dem Inhalt und dem Kontext der Lernenden her. Hier habe ich vieles gelernt, über das Ziel und die Art des Lehrens und auch über die Rolle des Lehrens.
Apologetik
Während das Christentum in vielen Teilen der Welt wächst, ist es in Europa und den USA eher am Schrumpfen. Und nicht wenige, die sich einst als evangelikal bezeichnet haben, dekonstruieren ihren Glauben und wenden sich anschließend höchstens noch einem „progressiven“ Christentum bzw. dem „Postevangelikalismus“ zu. In dem Buch Before You Loose Your Faith widmen sich insgesamt 17 Autoren (alle aus dem Bereich der Gospel Coalition) dieser Thematik. Es geht sowohl um eine Kritik am Dekonstruktivismus als auch um die Beschäftigung mit relevanten Themen, die viele Menschen zur Abkehr vom Evangelikalismus bewegen (Konservative Haltung zur Sexualität, „Christlicher“ Nationalismus, Konservative Politik („Donald Trump“), soziale Gerechtigkeit, Wissenschaft …). Zum Schluss laden die Autoren dazu ein, den Glauben zu rekonstruieren, statt ihn zu dekonstruieren. Von manchem, mit dem der Evangelikalismus landläufig gleichgesetzt wird, darf man sich dabei getrost trennen. Aber es gibt etliche Gründe, am reinen christlichen Glauben festzuhalten.
Sachbuch
Tragischerweise kommt diese Empfehlung nur wenige Tage nach der Nachricht vom Tod von Alexej Nawalny. In Winter is coming schreibt Garri Kasparow über die Gefahr, die von Wladimir Putin ausgeht. Kasparow sorgte einst für Schlagzeilen, als er sich als Schwach-Weltmeister weigerte mit der Flagge der UdSSR an Schach-Wettkämpfen teilzunehmen. 2005 zog er sich, als damals noch Weltbester Schachspieler, zurück, um sich stärker in der russischen Oppositions-Bewegung zu engagieren. Das Buch wurde nach der Annexion der Krim veröffentlicht, allerdings weit vor den aktuellen Ereignissen in der Ukraine. Hätte die westliche Welt seine Worte ernster genommen, wäre sie vermutlich besser auf die Ereignisse vorbereitet gewesen. Man mag manches an der deutschen Demokratie bemängeln – in Russland gibt es aber faktisch keine. Und die Liste der ermordeten russischen Dissidenten ist lang.
Roman
Daniel Nayeri wuchs in einer wohlhabenden und angesehenen Familie im Iran auf. Als seine Mutter sich zu Jesus bekehrte und sich einer Untergrundkirche anschloss, bekam sie große Schwierigkeiten und musste schließlich, zusammen mit ihren Kindern, fluchtartig das Land verlassen. Über die Vereinigten-Arabischen Emiraten und Italien kamen sie schließlich nach Oklahoma. Nayeri beschreibt die Erlebnisse aus der Perspektive seiner Zeit als Schulkind. Seine Mutter ist die große Heldin der Geschichte. Die Geschichte ist gleichzeitig humorvoll, lehrreich und bewegend. Man bekommt einen guten Einblick in die Gefühlswelt und die Gedankenwelt von Kindern aus eingewanderten Familien und wird Zeuge von zwei Kulturen, die aufeinanderprallen. Dabei ist die Westliche nicht immer diejenige, die besser abschneidet. Everything Sad is Untrue hat diverse Auszeichnungen bekommen. Leider ist es nicht in deutscher Sprache verfügbar, sonst würde ich es sicher als Erstes meinem ältesten Sohn zu lesen geben (13 Jahre). Es ist als Jugendbuch geschrieben, aber absolut auch für alle Erwachsenen geeignet.
Biografie
Der lange Weg zur Freiheit ist die Autobiografie von Nelson Mandela. Mit über 800 Seiten ist es ein ziemlich umfangreiches Werk. Ich habe es mir als Hörbuch angehört. Man bekommt einen sehr guten Einblick in die Zeit der Apartheid, die in Südafrika bis in die 90er-Jahre andauerte. Kaum vorstellbar aus heutiger Perspektive. Die Autobiografie basiert größtenteils auf Manuskripten, die Mandela heimlich während seiner Zeit als Gefangener auf Robben Island angefertigt und dann aus dem Gefängnis geschmuggelt hat. Er schreibt sehr offen und reflektiert über sein Leben und seinen Einsatz für die Rechte seines Volkes. Interessant, dass Mandela kein Pazifist war. Er war zwar um Versöhnung bemüht, sah Gandhis Pazifismus aber nicht als passend für den südafrikanischen Kontext an (parallel auch Bonhoeffer). Bemerkenswert offen schreibt er auch darüber, wie er in seiner Verantwortung als Vater der Nation der Verantwortung als Vater seiner Kinder nicht vollständig nachkommen konnte. Er entschuldigt das nicht, sondern litt offenbar auch unter dieser Spannung.