Warum Christen Langeweile brauchen

Langeweile ist nicht unser Feind – sie hilft uns, über das Wesentliche nachzudenken. Warum gerade Christen sie neu entdecken sollten.

„You Need to Be Bored“ – so heißt ein Video der Harvard Business Review, in dem Arthur Brooks, Professor für Führung und Management an der Harvard University und vielfacher Bestsellerautor, erklärt, warum Langeweile unverzichtbar ist. Seine These: Wer sie ständig verdrängt, verpasst es, sich mit den wirklich entscheidenden Fragen des Lebens auseinanderzusetzen. Das Smartphone in der Hosentasche sorgt dafür, dass wir uns jederzeit ablenken können – sogar, wenn wir nur 15 Sekunden an der Ampel warten. Doch genau diese Flucht vor der Langeweile hat fatale Folgen.

Die unterschätzte Kraft der Langeweile

Langeweile, so Arthur Brooks, schaltet in unserem Gehirn ein Netzwerk frei, das für freies Denken zuständig ist. Gerade in solchen Momenten entstehen Gedanken über Sinn, Ziel und Bedeutung unseres Lebens. Doch genau das vermeiden wir heute fast vollständig. Stattdessen greifen wir reflexartig zum Smartphone, scrollen durch Nachrichten oder lassen uns unterhalten. Die Folge: Wir verlieren den Zugang zu den grundlegenden Fragen, die uns eigentlich Orientierung geben sollen. Kein Wunder also, dass Depressionen und Angststörungen sprunghaft zunehmen – sie sind Symptome einer Gesellschaft, die die Stille verdrängt.

Konsequenzen für Christen

Stille schenkt kein schnelles Dopamin. Vielleicht fällt es uns deshalb heute so schwer, die Bibel zu lesen, zu beten oder Dinge in Ruhe zu durchdenken – weil wir ständig auf der Suche nach dem nächsten Reiz sind. Und doch ist sie unverzichtbar, wenn unser Glaube und unser Denken in die Tiefe wachsen sollen.

Auch Christen sind nicht vor dieser Entwicklung geschützt. Wer ständig Podcasts hört, Nachrichten checkt oder durch Feeds scrollt, verliert den Blick für das Wesentliche: Gottes Wort, aber auch die wichtigen Fragen des Alltags.

Ich spüre das bei mir selbst. Ich liebe es, Neues zu lernen – doch wenn ich jede freie Minute fülle, fehlt der Raum, dass Gottes Wort nachklingt oder ich mein Leben wirklich reflektiere. „Seid stille und erkennt, dass ich Gott bin!“ (Ps 46,11) – dieser Ruf bleibt ungehört, wenn mein Kopf nie zur Ruhe kommt.

Konsequenzen für Familien

Auch Familien verlieren, wenn Langeweile keinen Platz mehr hat. Früher entstanden im Warten, beim Spazieren oder am Esstisch ganz selbstverständlich Gespräche. Heute schaut oft jeder auf sein eigenes Display. Kinder lernen dabei nicht, über Fragen wie „Wofür lebe ich eigentlich?“ nachzudenken, sondern nur: „Was unterhält mich als Nächstes?“ Fehlen Momente der Stille, verkümmert Familienkultur – und damit auch die Chance, im Miteinander tiefer ins Gespräch zu kommen.

Konsequenzen für Nichtchristen

Für Menschen ohne Glauben ist die Vermeidung von Langeweile noch dramatischer. Denn gerade im Leerlauf drängen sich die wirklich großen Fragen auf: Was ist der Sinn meines Lebens? Wozu bin ich da? Gibt es einen Gott? Wer sich sofort wieder ablenkt, geht diesen existenziellen Fragen aus dem Weg – Fragen, die letztlich Bedeutung für die Ewigkeit haben. So geht auch die Antenne für das einzig rettende Evangelium verloren. Denn die Botschaft von Jesus Christus gibt die Antwort auf diese Sinn-Fragen – doch wer ihnen konsequent ausweicht, hört die Antwort kaum noch.

Praktische Schritte

Arthur Brooks empfiehlt einfache, aber wirkungsvolle Maßnahmen: kein Handy am Bett, keine Bildschirme bei Mahlzeiten, regelmäßige Social-Media-Fasten und bewusstes Aushalten von Wartezeiten ohne Ablenkung – auch über 15 Minuten hinaus. Wer das trainiert, entdeckt, dass Gedanken klarer werden und neue Ideen auftauchen.

Für Christen steckt darin noch mehr: Diese Unterbrechungen sind nicht nur ein Training für den Kopf, sondern öffnen Raum für Gottes Reden. Die Stille nach dem Bibellesen kann wertvoller sein als die dritte Auslegung, die man schnell noch anhört. Ein Gebetsspaziergang ohne Handy hilft, die eigenen Gedanken vor Gott zu sortieren. Und eine gelebte Sabbatkultur – ein Tag ohne digitale Dauerberieselung – macht deutlich, dass unser Leben nicht von ständiger Aktivität abhängt, sondern von Gottes Gnade.

Und auch für die Produktivität gilt: Wahre Klarheit und neue Ideen entstehen oft genau dort, wo wir scheinbar nichts tun. Zugegeben: Hier habe ich selbst noch viel zu lernen. Aber ich möchte mich auf den Weg machen.

Fazit

Langeweile ist kein Feind, den wir vertreiben müssen, sondern eine vergessene Ressource. Sie schenkt uns Raum, über das Wesentliche nachzudenken – über unser Leben, unseren Glauben und unseren Auftrag. Wer sie zulässt, gewinnt Klarheit und Tiefe. Gerade als Christen sollten wir neu lernen, Stille nicht zu fürchten, sondern sie bewusst zu suchen. Vielleicht ist der erste Schritt ganz einfach: das Handy beiseitelegen – und aushalten, dass nichts passiert. Denn genau dort beginnt Gott zu reden.

2 Kommentare

  1. Der Artikel ist richtig gut, ähnliches habe ich auch schon oft gedacht. Obwohl ich es (bin 72) ja noch anders erlebt habe, ist auch für mich das Handy ein fast unvermeidlicher Pausenfüller geworden.
    Aber das ist das Paradox unserer Zeit, das man solche Artikel natürlich nur liest, während man beim Frühstück (alleine) durch seine Feeds scrollt ….

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