Scheidung und Wiederheirat: Ein Überblick (Teil 1)

Dieser Beitrag gibt eine Übersicht über die zentralen biblischen Aussagen und die exegetischen Herausforderungen in der Frage nach der Legitimität von Scheidung und Wiederheirat.

Gesunde Ehen und Familien sind eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine gesunde Gesellschaft. Und natürlich sind sie auch eine der wichtigsten Voraussetzungen für gesunde christliche Gemeinden. Wir sollten nicht erst dann ansetzen, wenn es zu spät ist. Eine gute Ehevorbereitung und weiterführende Angebote einer persönlichen Begleitung für Ehepaare sind ganz sicher wichtige Aufgaben einer Gemeinde. Trotzdem muss auch die Frage gestellt werden, wie man mit den Beteiligten umgeht, wenn eine Ehe zerbricht. Wenn das passiert, sind wir immer mit persönlichem Versagen konfrontiert. Menschen werden schuldig aneinander und in den seltensten Fällen ist das völlig einseitig. Aber wenn einer mit Schuld und Versagen umgehen kann, sollten das Christen sein.

In diesem Zusammenhang muss die Frage gestellt werden, ob es aus biblischer Sicht legitim ist, wenn ein Ehepartner eine Scheidung anstrebt. Und wenn über die Vergangenheit gesprochen wird, muss irgendwann natürlich auch über die Zukunft gesprochen werden. Ist eine weitere Ehe eine biblisch legitime Option?

In diesem ersten Beitrag möchte ich eine Übersicht über die zentralen biblischen Aussagen und die exegetischen Herausforderungen geben. Ich beschränke mich dabei auf die Aussagen des Neuen Testaments und bemühe mich, die Dinge knapp, aber verständlich darzustellen. In den folgenden Beiträgen werde ich dann die unterschiedlichen ethischen Positionen und ihre exegetischen Begründungen vorstellen. Ich werde dann immer auch einige Literaturhinweise geben. Abschließend folgt eine persönliche Bewertung.

Der neutestamentliche Befund

Die relevanten Passagen gehen im Wesentlichen mit den Vorkommen von zwei Schlüsselworten einher. (1) Das griechische Verb ἀπολύω kommt im Neuen Testament 66 Mal vor. Vierzehnmal hat es die Bedeutung entlassen im Sinne einer Scheidung vom Ehepartner oder vom Verlobten (Mt 1,19; 5,31-32; 19,3.7-9; Mk 10,2.4.11-12; Lk 16,18). (2) Das Verb χωρίζω kommt zwölfmal im Neuen Testament vor, davon sechsmal mit der Bedeutung scheiden (Mt 19,6; Mk 10,9; 1Kor 7,10-12.15).

Bis auf zwei Ausnahmen konzentrieren sich die genannten Verse in den Synoptikern (Matthäus, Markus und Lukas) auf den Bericht vom Streitgespräch Jesu mit den Pharisäern über die Bedeutung des Scheidebriefes (Mt 19,3-12; Mk 10,2-12; Lk 16,18). Matthäus und Markus beschreiben dieses Ereignis ausführlich, wenn auch mit Unterschieden im Detail und im Ablauf des Geschehens. Lukas komprimiert die Aussage Jesu auf einen einzelnen Vers, ohne die Diskussion mit den Pharisäern zu erwähnen. Nach den Berichten aller drei Evangelien ging es in diesem Zusammenhang auch um Fall der Wiederheirat.

Die beiden weiteren Vorkommen finden sich (1) im Bericht des Matthäus über die von Joseph erwogene Entlassung Marias aufgrund seines Verdachts der Untreue während der Verlobungszeit (Mt 1,19) und (2) in Jesu dritter Antithese in der Bergpredigt (Mt 5,31f). Außerhalb der Evangelien kommt χωρίζω lediglich im 1. Korintherbrief (1Kor 7,10-12.15) vor. Paulus gibt der Gemeinde in Korinth in diesem Zusammenhang konkrete Anweisungen für den Umgang mit Ehe und Ehescheidung.

Über die genannten Verse hinaus sind zwei weitere Stellen von Bedeutung, in denen Paulus über das Thema der Wiederheirat spricht. Im Römerbrief vergleicht er das Gebundensein in der Ehe mit dem Gebundensein im Gesetz (Röm 7,1-4). Im 1. Korintherbrief spricht er, neben den oben genannten Versen, ebenfalls das Gebundensein im Ehebund an (1Kor 7,39). In beiden Stellen wird erwähnt, dass das Gebundensein mit dem Tod einer der Personen endet.

Die Ausnahmeklausel bei Matthäus

Als einziger unter den Evangelisten gibt Matthäus die Aussage Jesu wieder, dass eine Scheidung (verwendet wird das Verb ἀπολύω), und möglicherweise auch eine Wiederheirat, unter gewissen Umständen legitim sei (Mt 5,32; 19,9). Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob man bei Matthäus beginnt und die Markus und Lukas im Licht der Ausnahmeklausel einordnet (und die allgemeinen Aussagen gewissermaßen relativiert). Alternativ könnte man natürlich auch mit den allgemeinen Aussagen bei Lukas und Markus beginnen und Matthäus im Licht dieser Stellen einordnet (und dann eben die Ausnahmeklausel relativieren). In jedem Fall ist klar, dass die Auslegung der Stellen bei Matthäus (neben 1Kor 7) eine zentrale Rolle bei der Frage nach der Legitimität von Scheidung und Wiederheirat spielt. Im Fokus steht hier vor allem der Bericht von der Auseinandersetzung zwischen Jesus und den Pharisäern (Mt 19,3-12). Jesus behandelt die Frage hier wesentlich ausführlicher als in der Bergpredigt.

Die größten exegetischen Herausforderungen in der Auslegung von Mt 9,3-12 sind folgende:

  1. Wie lassen sich die Unterschiede zwischen Matthäus und den Berichten der anderen Synoptiker (Mk 10,1-12 und Lk 16,18) am plausibelsten erklären?
  2. Ist der Ehebund unter gewissen Bedingungen auflösbar oder ist er prinzipiell unauflösbar (Mt 19,6)?
  3. Jesus spricht von einem Ausnahmefall, wenn πορνεία (porneia)vorliegt (19,9; vgl. 5,32). Welche Bedeutung hat das griechische Wort an dieser Stelle?
  4. Legitimiert der Ausnahmefall lediglich eine Scheidung oder wird dadurch auch eine mögliche Wiederheirat legitimiert?
  5. Wie lässt sich die Reaktion der Jünger auf die Worte Jesu (19,10) am sinnvollsten erklären?
  6. Schließt die Ausnahmeklausel nach Matthäus die Möglichkeit weiterer legitimer Gründe für Scheidung und Wiederheirat aus oder sind weitere Ausnahmen denkbar?

Literaturempfehlung

In deutscher Sprache gibt es einige Bücher, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem Thema beschäftigen. Ein paar davon werde ich in den folgenden Beiträgen erwähnen. Denjenigen, die mit englischsprachiger Literatur zurechtkommen, empfehle ich als Einstieg gerne den Band aus der Counterpoint-Serie von Zondervan: Remarriage after Divorce in Today’s Church: 3 Views.

5 Kommentare

  1. Hallo Paul,

    vielen Dank für deinen Beitrag. Die Möglichkeit einer falschen Übersetzung halte ich für ganz abwegig, deshalb habe ich sie gar nicht erst genannt. Bei Mt 19,9 wäre das möglich (wenn auch unwahrscheinlich). Bei Mt 5,32 ist es aber ganz ausgeschlossen. Siehe dazu z. B. Murray J. Harris: Prepositions and Theology (S.142f):

    In itself the crucial μὴ ἐπὶ πορνεία (lit., „not on the basis of immorality“) in this famous Matthean divorce saying could conceivably be interpreted as parenthetical, providing a negative explanatory refinement: „it is also not allowed on the ground of fornication“ (a view cited in TDNT 6:592 n.75), „not [even] in the case of immorality [can he divorce her],“ making 19:9 an absolute prohibition of divorce. But this view accords better with μηδὲ („not even“) in place of μὴ, as does an appeal to preterition: „the ground of fornication being left out of account“ (Cassirer) or „I am not speaking of an illicit marriage“ (NJB).
    But in light of the unambiguous parallel in Mt 5:32, παρεκτὸς λόγου πορνείας , „except for the reason of immorality/apart from the ground of immorality (cf. BDAG 601b, 774d; Zerwick §128 n.8), the μὴ of 19:9 should be treated as aquivalent to to εἰ μὴ, introducing an exception, „except on the basis of immorality“ (cf. BDAG 364d), „except for immorality.“ […] The difference between the two Matthean phrases (παρεκτὸς λόγου πορνείας and μὴ ἐπὶ πορνεία) is formal rather than substantial. To treat μὴ ἐπὶ as meaning „not in addition to“ yields no satisfactory sense in the context.

  2. https://wasglaubstdu.info/2019/07/27/ausgenommen-unzucht/

    Hi Jakob, vermutlich kennst du schon diese Diskussion – ich finde sie aber so bedeutend, dass man sie bei der Betrachtung von Scheidung und Wiederheirat nicht außen vor lassen sollte. Ich finde sie zumindest nicht bei deinen echt guten, kurzen, verständlichen und äußerst hilfreichen Ausführungen. Die große Frage die sich hier stellt ist: WAS, wenn die „Ausnahmeklausel“ gar nicht als eine solche zu verstehen ist (da ein Übersetzungsfehler)??? Dann würde alles andere in der Bibel herrlich passen und man müsste gar keine Diskussionen führen, oder? Und dann müsste man auch Paulus keine Einseitigkeit vorwerfen in 1Kor 7 etc. Dann müsste man auch keine „Widersprüche“ erklären oder aufzulösen versuchen … Naja, ich persönlich fand die Gedanken mit der „passenderen Übersetzungshilfe“ nicht verkehrt – und logisch erscheinen sie mir allemal. Schwer in der Praxis? Das leugne ich nicht! Ich bevorzuge in Mt statt „außer“ als bessere, passendere Übersetzung lieber „AUCH NICHT“ bei porneia – damit wäre dann alles (für mich) erklärt 😉

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