Immun gegen Kritik? Lektionen aus „Unfollow“

Was passiert, wenn Gemeinden jede Kritik als Verfolgung abtun? Unfollow ist ein schonungsloser Erfahrungsbericht – und ein Weckruf für geistliche Selbstreflexion.

Megan Phelps‑Roper wuchs in der Westboro Baptist Church auf – einer „christlichen“ Sekte, die die BBC 2007 als „die meistgehasste Familie Amerikas“ porträtierte. Zehn Jahre später berichtete sie in einen TED‑Talk über ihren Ausstieg.

2023 hörte ich ihre Podcast‑Serie The Witch Trials of J. K. Rowling, in der sie nüchtern, aber pointiert die Debatte um Gender‑Identität beleuchtet. Kürzlich habe ich ihre Autobiografie Unfollow (Affiliate-Link) gelesen, in der sie ihre Geschichte schildert.

Leider hat sich Phelps-Roper nicht nur von der Westboro Baptist Church distanziert, sondern dem christlichen Glauben den Rücken zugewandt. Trotzdem ist das Buch an vielen Stellen ein echter Augenöffner. Zwischen schmerzhaften Erinnerungen stecken scharfsinnige Beobachtungen über Machtmissbrauch, Gruppendenken und geistliche Blindstellen. Die folgenden Zitate haben mich besonders getroffen; darunter findest du jeweils eine kurze Einordnung.

My grandfather had a different perspective on the opposition and scorn we faced: it was proof that God was with us. He would quote Jesus, who warned his disciples to expect the hatred of the world: if the world hate you, ye know that it hated me before it hated you. If ye were of the world, the world would love his own: but because ye are not of the world, therefore the world hatter you. „In fact,“ Gramps would roar during his Sunday sermons, „I’d be supremely afraid if the people of this evil city were on our side!“ Woe unto you, when all men shall speak well of you! For so did their fathers to the false prophets. (S.6–7)

Widerstand allein als Messlatte geistlicher Treue zu wählen greift zu kurz. Das Neue Testament zeigt vielmehr ein differenziertes Bild: In Apg 2,47; 5,13 erfreut sich die Urgemeinde z. B. deutlicher Sympathie. Petrus hingegen unterscheidet klar zwischen Leiden um Christi willen und selbst verschuldetem Gegenwind (1Petr 2,19–20; 3,17; 4,15–16). Wer jede Kritik vorschnell als „Verfolgung“ etikettiert, immunisiert sich gegen berechtigte Korrektur und unterbindet gesunde Selbstreflexion. Leider verfallen auch andere Sekten dieser irrigen Logik, so z. B. Die sogenannte Baptistengemeinde Zuverlässiges Wort in ihrem Video, in dem sie Schnipsel aus Predigten von Lothar Gassmann aneinanderreihen (–> YouTube).

We were the Jacobs. We were always under Satan’s attack. We had to protect ourselves. We had to protect ourselves. I was beginning to see that our first loyalty was not to the truth but to the church. That for us, the church was the truth, and disloyalty was the only sin unforgivable. This was the true Westboro legacy. (S.64)

Loyalität zu Christus und seiner Wahrheit darf niemals durch blinde Loyalität zu einer Institution ersetzt werden. Sobald die Gruppe sich selbst mit der Wahrheit gleichsetzt, wird jede kritische Nachfrage zur Gefahr und jede konstruktive Korrektur zum Verrat. Ein reifer Glaube fragt nach Wahrheit, auch wenn sie unsere Tradition oder Denomination infrage stellt.

„There’s something wonderfully liberating in the notion that you’re one hundred percent right,“ my grandfather often noted with calm and confidence.“ (S.145)

Gewissheit über zentrale Glaubenswahrheiten ist wichtig, aber das Gefühl, in allen Punkten unfehlbar zu sein, ist gefährlich. Paulus erinnert daran, dass unsere Erkenntnis Stückwerk bleibt (1Kor 13,12). Wer Unfehlbarkeit beansprucht, verbaut sich Lern‑ und Wachstumswege und läuft Gefahr, sich völlig zu verrennen.

To my mind it was now undeniable that the elders’ decision were primarily driven not by scripture, but by a need to keep church members in our place. To make us understand that bending to their will was the only option. Nothing else mattered.“ (S.186)

Biblische Autorität kommt durch Dienst, Machtstreben ist das genaue Gegenteil (Mt 20,25-28; 1Petr 5,2–3). Wenn Entscheidungen in erster Linie dazu dienen, die eigene Position abzusichern, statt sich am Wort Gottes zu orientieren, entsteht geistlicher Missbrauch. Transparente Prozesse, gemeinsame Ältestenschaft und echte Rechenschaftspflicht schaffen gesunde Korrektive.

We had never learned how to „agree to disagree,“ because to church members, such a concept was blasphemous. Can two walk together, except they be agreed? What communion hath light with darkness? At Westboro every decision had moral implications. Every question had a single correct answer. (S.227)

Christen müssen lernen, in zweitrangigen Fragen unterschiedliche Auffassungen auszuhalten. Die theologische Triage (siehe Ortlund [Alliliate-Link]) hilft zu unterscheiden, welche Themen das Zentrum des Evangeliums betreffen und welche Spielraum erlauben. Siehe dazu auch meinen Beitrag zum Umgang mit theologischen Differenzen.

According to Zack, my Grandfather had come to see his congregation as cruel an unmerciful. […] But it was too late. He had spent decades inculcation us with an ideology that valued fear and control over mercy and grace. He was the one who had taught church members to have unshakable faith in their own perspective, to believe their judgement was as God’s judgement, with de facto status as infallible. Not even my grandfather could stop the course he had set in motion. […] Gramps was the heretic now. His illness was proof not of his age, but that God had condemned him. To church members, dementia was the result of my grandfathers strange behavior, rather then its cause. […] I thought of the blind man of John 9. […] The story – along with the entire book of Job – showed clearly that not all illness was punishment for sin. Westboro knew better. (S.281)

Wer jahrelang Furcht und Kontrolle sät, erntet am Ende eine Atmosphäre der Unbarmherzigkeit. Tragisch, dass der Gründer der „Gemeinde“ schließlich selbst zum Opfer wurde. Die Bibel verbindet Leid keineswegs automatisch mit Schuld. Eine Kultur der Gnade schützt Gemeinden davor, in harte Gesetzlichkeit abzugleiten, besonders wenn Leitende selbst schwach werden.

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